Wie die EU ihren Green Deal diskreditiert

Das Gesetzgebungsverfahren in Brüssel ist wie ein Omnibus - meistens © IMAGO / Belga

Eigent­lich sind die gewöhn­li­chen Gesetz­ge­bungs­pro­zes­se in Brüs­sel mit einem Omni­bus zu ver­glei­chen. Sie sind von außen betrach­tet eher lang­sam, hal­ten an ver­schie­dens­ten Stel­len – dem Rat, dem Par­la­ment, der Kom­mis­si­on — bie­gen mal ab und fah­ren wei­ter. So war es auch beim euro­päi­schen Green Deal.

Momen­tan pas­siert aber etwas völ­lig ande­res. Der Bus fährt nicht mehr nach Fahr­plan. Und das bringt Chaos.

Green Deal: Als der Bus losfuhr

Im Dezem­ber 2019 prä­sen­tier­te die damals neue Kom­mis­si­ons­prä­si­den­tin Ursu­la von der Ley­en den Green Deal als neue Wachs­tums­stra­te­gie der EU, als Fahr­plan für Wirt­schaf­ten inner­halb der pla­ne­ta­ren Gren­zen. Abge­kop­pelt von der Res­sour­cen­nut­zung. Für eine gerech­te Trans­for­ma­ti­on, die nie­man­den zurück­lässt, als einen “man on the moon moment”. Danach setz­te sich der Motor der EU in Gang, ver­gleichs­wei­se zügig sogar. Es wur­den zahl­rei­che Akti­ons- und Inves­ti­ti­ons­plä­ne geschmie­det, Stra­te­gien zu Bio­di­ver­si­tät, Kreis­lauf­wirt­schaft, Methan, Kli­ma­wan­del­an­pas­sung und vie­lem mehr entwickelt.

Im Lau­fe der letz­ten fünf Jah­re wur­den zahl­rei­che Regu­lie­run­gen beschlos­sen, gro­ße Geset­ze dis­ku­tiert und ange­nom­men. Der Omni­bus fährt eine immer ähn­li­che Stre­cke: Die Kom­mis­si­on schlägt vor, das Par­la­ment dis­ku­tiert, der Rat beschließt. Es gibt noch wei­te­re Stopps beim soge­nann­ten impact assess­ment, einer Fol­gen­ab­schät­zung, oder für eine öffent­li­che Kon­sul­ta­ti­on. Die Kom­mis­si­on schlägt dann ein neu­es Gesetz, eine neue Ver­ord­nung vor. Im soge­nann­ten Tri­log zwi­schen  Kom­mis­si­on, Rat und Par­la­ment wer­den die­se im Detail dis­ku­tiert, Abän­de­run­gen ein­ge­fügt, dann bes­ten­falls Eini­gun­gen erzielt. Und somit Richt­li­ni­en und Ver­ord­nun­gen beschlossen.

Nicht sel­ten steht man an die­ser Stel­le im Stau, dreht sich im Kreis und kann erst ver­zö­gert wei­ter­fah­ren. Mit­glieds­staa­ten kön­nen auf ver­schie­de­nen Ebe­nen ihre Inter­es­sen ein­zu­brin­gen und so ein Gesetz mit­ge­stal­ten. Ände­rungs­vor­schlä­ge von Rat und Par­la­ment wer­den debat­tiert und akzep­tiert. Die Kom­mis­si­on nimmt hier die Rol­le der poli­tisch neu­tra­len, mode­rie­ren­den Instanz ein.

Es war ein­mal ein Plan

Um den Green Deal finan­zie­ren zu kön­nen gibt es einen Akti­ons­plan für nach­hal­ti­ges Wachs­tum. Ziel davon ist es, Kapi­tal­strö­me auf eine nach­hal­ti­ge­re Wirt­schaft aus­zu­rich­ten, Nach­hal­tig­keit im Risi­ko­ma­nage­ment zu ver­an­kern und Trans­pa­renz und Lang­fris­tig­keit zu för­dern. Nicht nur in nach­hal­ti­ge Wirt­schafts­ak­ti­vi­tä­ten, son­dern auch in die Trans­for­ma­ti­on von Unter­neh­men. Teil davon sind unter ande­rem die Ent­wick­lung der EU-Taxo­no­mie, der Nach­hal­tig­keits­be­richt­erstat­tung von Unter­neh­men (cor­po­ra­te sus­taina­bi­li­ty report­ing direc­ti­ve, CSRD) und der Offen­le­gungs­ver­ord­nung von Finanz­in­sti­tu­ten (sus­tainable finan­ce dis­clo­sure regu­la­ti­on, SFDR). Für eine “just tran­si­ti­on”, wie von der Ley­en ange­kün­digt hat, müs­sen Unter­neh­men ihren Sorg­falts­pflich­ten auch in der Lie­fer­ket­te nach­kom­men (gere­gelt in der cor­po­ra­te due dili­gence direc­ti­ve, CSDDD) und Trans­pa­renz über ihre Geschäfts­prak­ti­ken her­stel­len. Die Idee dahin­ter: Daten lie­fern zum einen die nöti­gen Infor­ma­tio­nen, um einen Tran­si­ti­ons­plan zu ent­wi­ckeln, sich zukunfts­fä­hig auf­zu­stel­len, und die­sen an nöti­ge Inves­ti­ti­ons­be­dar­fe zu kop­peln. Zum ande­ren, um an die nöti­gen Inves­ti­tio­nen für die Umset­zung zu kom­men. Inves­to­ren brau­chen Daten, um Ent­schei­dun­gen zu tref­fen. Finanz­in­sti­tu­te müs­sen die Risi­ken, die sich in der Kli­ma- und Bio­di­ver­si­täts­kri­se erge­ben, mit­den­ken und ein­prei­sen. Sonst wird das nichts mit dem “grü­nen Wachstum”.

Plötz­lich macht der Bus kehrt

All die­se Ver­ord­nun­gen sind Ergeb­nis­se einer lan­gen Omni­bus­fahrt. Sehr ver­schie­den waren und sind die Inter­es­sen ein­zel­ner Mit­glieds­staa­ten und gro­ßer Lob­by­ver­bän­de. Den­noch: Der Bus ist gefah­ren und ins Ziel gekom­men. Er ist nicht, oder nur stück­wei­se, vom Weg abge­kom­men. Soll­te man mei­nen. CSRD und CSDDD sind ver­meint­lich schon im Ziel. Doch plötz­lich kommt es zu einer Kehrtwende.

Zu viel oder doch zu wenig?

Die geo­po­li­ti­sche Lage hat sich in den letz­ten Jah­ren geän­dert. Bei der Wachs­tums­stra­te­gie gibt es ein gro­ßes Pro­blem: Die Wirt­schaft in Deutsch­land und in ande­ren Tei­len der EU wächst nicht. Plötz­lich ist von Deindus­tria­li­sie­rung die Rede. Auf der einen Sei­te: zu vie­le Auf­la­gen, zu vie­le Regeln, zu vie­le Zie­le, zu viel, zu viel. Auf der ande­ren Sei­te: zu wenig Inno­va­ti­on, zu wenig Wett­be­werbs­fä­hig­keit, zu wenig Han­del, zu wenig Export, zu wenig von allem.

Und dann pas­siert etwas, das die EU nach­hal­tig schwä­chen kann. Sowohl in sich, als auch glo­bal. Fest­ge­leg­te Pro­zes­se wer­den plötz­lich nicht mehr ein­ge­hal­ten, Ver­fah­ren auf­ge­weicht. Dies liegt nicht nur am Ver­hal­ten ein­zel­ner Mit­glieds­staa­ten, son­dern auch an der Kom­mis­si­on selbst. Die Ver­hand­lun­gen des EU-Lie­fer­ket­ten­ge­set­zes in Deutsch­land lie­gen zum Bei­spiel in der Ver­ant­wor­tung des Arbeits­mi­nis­te­ri­ums, das von Huber­tus Heil (SPD) geführt ist. Den­noch sind es Ver­tre­ter der FDP aus Finanz- und Jus­tiz­mi­nis­te­ri­um, die kurz vorm Abschluss des Tri­logs zur CSDDD im Janu­ar 2024 mit einem Brief — unab­ge­spro­chen — an die EU-Mit­glieds­staa­ten wen­den. In die­sem set­zen sie sich für eine mas­si­ve Abschwä­chung des Geset­zes ein, for­dern die ande­ren Län­der auf, die­sem Gesetz nicht zuzu­stim­men und kün­di­gen einen Ent­hal­tung Deutsch­lands an.

Nun könn­te man es auf die bekann­te Unei­nig­keit der dama­li­gen Ampel-Regie­rung schie­ben. Deutsch­lands Ent­hal­tun­gen auf Grund die­ser Unei­nig­keit sind auf EU-Ebe­ne schon als “Ger­man vote” bekannt. Die Bun­des­re­pu­blik gilt längst als unzu­ver­läs­si­ge Part­ne­rin. Doch dann ver­spricht auch Ursu­la von der Ley­en, mit­ten im EU-Wahl­kampf­mo­dus, eine Reduk­ti­on der Berichts­pflich­ten um min­des­tens ein Vier­tel. Die­se kon­kre­ti­siert sie bei einer Pres­se­kon­fe­renz im Novem­ber 2024, in der sie ein Omni­bus­ver­fah­ren ankün­digt. Unter ande­rem sol­len die Cor­po­ra­te Sus­taina­bi­li­ty Report­ing Direc­ti­ve (CSRD), der Cor­po­ra­te Sus­taina­bi­li­ty Due Dili­gence Direc­ti­ve (CSDDD) und die EU-Taxo­no­mie ein­stei­gen. Das, was sie dort ankün­digt, ist das eigent­li­che Omni­bus-Ver­fah­ren. In die­sen Omni­bus sol­len vie­le Geset­ze und Ver­ord­nun­gen ein­stei­gen, wie und ob sie wie­der aus­stei­gen wird nur vage angedeutet.

Ein Vor­schlag zu erstaun­li­cher Zeit

Die­ser Vor­schlag kommt zu einer Zeit, in der die CSRD in vie­len Mit­glieds­staa­ten schon in natio­na­les Recht über­tra­gen wur­de. Und gegen Deutsch­land und ande­re Län­der bereits ein Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fah­ren läuft, weil sie es nicht geschafft haben, den Rechts­text inner­halb von zwei Jah­ren zu über­tra­gen. Ers­te Unter­neh­men müs­sen eigent­lich für das Jahr 2024 berich­ten, haben sich längst mit den Vor­ga­ben beschäf­tigt, Sys­te­me ent­wi­ckelt und an den Lage­be­rich­ten gearbeitet.

 

Wirft Ursu­la von der Ley­en den Omni­bus vor den Bus? © IMAGO / Xinhua

Durch den Bruch der Ampel­re­gie­rung in Deutsch­land und den vor­ge­zo­ge­nen Neu­wah­len kommt es zu einer wei­te­ren Ver­zö­ge­rung bei der Über­tra­gung in natio­na­les Recht. Statt­des­sen wer­den Stim­men laut, sich für eine Ände­rung oder sogar Abschaf­fung ein­zel­ner Berichts­pflich­ten ein­zu­set­zen. Der Auf­wand sei zu groß, die Belas­tung wür­de die Wirt­schaft brem­sen, nicht anfeu­ern. Das gefürch­te­te “Büro­kra­tie­mons­ter” steigt in den Bus und besteht schein­bar ledig­lich aus Nach­hal­tig­keits­be­richt­erstat­tung. Die­ses muss besiegt wer­den, denn dann wird alles wie­der gut.

Das eine flo­rie­ren­de Wirt­schaft von einer intak­ten Natur und erfolg­rei­che Geschäfts­mo­del­le von der Kli­ma­kri­se abhän­gen und an den Kli­ma­zie­len aus­ge­rich­tet sein müs­sen — plötz­lich schein­bar irrele­vant. Unter­neh­men, die bereits in die Ein­hal­tung der CSRD und ande­rer Vor­ga­ben inves­tiert haben, wer­den an der Bus­hal­te­stel­le im Regen ste­hen gelas­sen. Sie brau­chen nicht nur selbst belast­ba­re Zah­len, um ihre Stra­te­gie in Tran­si­ti­ons­plä­nen anpas­sen zu kön­nen, son­dern auch um an die not­wen­di­gen Inves­ti­tio­nen zu kom­men. Die­se Daten zu erfas­sen und zu erken­nen, wie die Pro­duk­ti­on in den Lie­fer­ket­ten aus­sieht, ist schwie­rig, zeit­auf­wän­dig und teu­er. An die­ser Stel­le wäre eigent­lich Hil­fe und Ver­ein­fa­chung von Sei­ten der Poli­tik gefragt. Und eine genaue Ana­ly­se, um zu sehen, was wie wo zu viel und red­un­dant ist .

Bis­her gibt es kei­ne belast­ba­ren Zah­len, denn es gibt ja noch kei­ne Berich­te. Trotz­dem star­tet der Omni­bus durch, rast los.

Anstatt vor­zu­schla­gen, in Ruhe die ers­ten Berich­te abzu­war­ten, zu schau­en, was ver­bes­sert wer­den kann, wird aktu­ell inhalts­leer von der Reduk­ti­on von Daten­punk­ten gespro­chen. Soll es ein Vier­tel sein oder gar die Hälf­te? Wie vie­le die­ser Daten­punk­te sind eh stan­dard­mä­ßig erfasst bei Unter­neh­men? Wel­che sind eigent­lich rele­vant für Finanz­in­sti­tu­te? Wel­che die­nen der eige­nen Stra­te­gie­ent­wick­lung und Ziel­er­rei­chung? Irrele­vant. Der Bus nimmt ab sofort die Über­hol­spur- nimmt nur noch jeden zwei­ten Datenpunkt.

…und auf ein­mal sind die Türen zu

Die bei­den von der Kom­mis­si­on eigens ein­be­ru­fe­nen Exper­ten­gre­mi­en, die tech­ni­sche Kri­te­ri­en für die Taxo­no­mie und die CSRD ent­wi­ckelt haben, wer­den nicht befragt. Statt­des­sen wer­den aus­ge­wähl­te Unter­neh­men gela­den, um hin­ter ver­schlos­se­nen Türen zu dis­ku­tie­ren. An einem Teil die­ser Dis­kus­si­on durf­ten immer­hin aus­ge­wähl­te Zivil­or­ga­ni­sa­tio­nen mit­ma­chen. Aus­gang wei­ter unge­wiss. Was immer kla­rer wird: es scheint eine Eile gebo­ten, die jeg­li­cher Grund­la­ge ent­behrt. Wis­sen­schaft­li­che, zivil­ge­sell­schaft­li­che Stim­men wer­den schein­bar nicht gehört. Ver­fah­ren ver­kürzt, unnö­tig ver­schlei­ert, nicht durch­dacht. War­um? In der letz­ten Legis­la­tur­pe­ri­ode hat die euro­päi­sche Kom­mis­si­on klar gemacht, dass die­se Geset­ze eine Schlüs­sel­rol­le für nach­hal­ti­ge Inves­ti­tio­nen, Ent­schei­dun­gen und Stra­te­gien sei­en. Die­se glei­chen Geset­ze gel­ten nun als der Grund für Wett­be­werbs­nach­tei­le, feh­len­des Wirt­schafts­wachs­tum und eine schwä­cheln­de Kon­junk­tur. Durch die­se Wider­sprüch­lich­keit dis­kre­di­tiert die EU ihren eige­nen Green Deal, und viel­leicht schlim­mer, ihre glo­ba­le Repu­ta­ti­on als “lea­der on sustainability”.

Dabei braucht eine sta­bi­le Wirt­schaft zum einen sta­bi­le Rah­men­be­din­gun­gen durch die Poli­tik und zum ande­ren zuver­läs­si­ge Daten. Oder, um es mit den Wor­ten mei­nes Brüs­sel­ers Kol­le­gen Sebas­tién Godi­not zu sagen: Weni­ger Bericht­erstat­tung führt nicht zu weni­ger Pro­ble­men, nur zu weni­ger Lösungen.

Dr. Laura Niederdrenk arbeitet seit Dezember 2020 im Fachbereich Sustainable Finance beim WWF Deutschland. Mehr als 10 Jahre lang habe ich mich mit Veränderungen des arktischen Meereises durch den anthropogenen Klimawandel beschäftigt. Beim WWF arbeitet sie vor allem an EU-politischen Themen.
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