Mit Deutschland und der Energiewende ist es ein bisschen so wie mit der Erfindung des Fahrrads. Es wurde viel getüftelt und ausprobiert. Und am Anfang war alles noch sehr teuer. Aber irgendwann stimmte die Technik. Die Energiewende kam ins Laufen, sie hatte quasi endlich zwei gleich große Räder und alle wollten Fahrradfahren.
Mittlerweile aber hat Deutschland vergessen, wie man Fahrrad fährt, während andere Länder schon auf Pedelecs umsatteln. Deutschland, Geburtsland der Energiewende, hat den Anschluss verloren. Das ist nicht nur für unsere Wirtschaft gefährlich: Als eine der größten Industrienationen stehen wir in besonderer Verantwortung, was den Klimaschutz angeht. Aber ohne eine umfassende Energiewende hin zu Erneuerbaren heizen wir die Klimakrise weiter an.
Damit steigt das Risiko für extremes Wetter, auch bei uns in Deutschland. Hitzetage etwa nehmen zu, mit teils schweren Folgen für unseren Kreislauf. Tropische Krankheiten können sich ausbreiten. Dürren auf der einen, Überflutungen auf der anderen Seite gefährden Ernährungssicherheit und Wohlstand. Ein steigender Meeresspiegel vertreibt Millionen Menschen.
Es gibt nichts zu feiern
Leider folgt auf die Dringlichkeit aber noch nicht entschlossenes Handeln. Und so haben wir am Tag der Erneuerbaren am 24. April nichts zu feiern. Im Gegenteil: Der Ausbau sauberer Energie aus Wind und Sonne in Deutschland ist drastisch eingebrochen. 2020 wurden davon gerade einmal 6,3 Gigawatt zugebaut. Nötig wären mindestens 15 bis 20 pro Jahr, wenn Deutschland seine eigenen – ohnehin zu niedrigen – Klimaziele erreichen möchte. Bei Wind waren auch schon einmal vier- bis fünfmal so viel wie 2020, bis die Energiewende ins Stocken kam. Jetzt wurde sogar noch die Ausschreibungsmenge zurückgefahren.
Stattdessen sind noch immer sechs der zehn größten CO2-Schleudern Europas deutsche Kohlekraftwerke. Trotz Kohleausstiegsgesetz. Und das Klimaziel 2020 hat Deutschland nur erreicht, weil es unschöne Schützenhilfe von der Corona-Pandemie bekommen hat. Wir alle wissen, dass dieser Emissionsrückgang nicht nachhaltig bleiben wird.
Deutschland braucht mehr Erneuerbare
Unser gesamtes, zukunftsfähiges System hängt davon ab, dass uns ausreichend Strom aus Wind und Sonne zur Verfügung steht. Auch für den Verkehr: Wenn Tesla jetzt bald aus dem brandenburgischen Grünheide den deutschen Automarkt mit Elektroautos versorgt, brauchen diese Strom aus Erneuerbaren, um einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.
Auch die Industrie braucht den schnellen Ausbau
Und auch die Industrie braucht einen schnellen Ausbau: Kommen jetzt nicht die richtigen Weichenstellungen aus der Politik, kann es passieren, dass in klimaschädliche Produktionsanlagen reinvestiert wird, die über Jahre Bestand haben. Neben direkter Elektrifizierung ist für die Industrie auch die Förderung Grünen Wasserstoffs wichtig – also solcher, der mithilfe Erneuerbarer hergestellt wird. Denn nur grüner Wasserstoff ist langfristig sinnvoll.
Folge uns in Social Media
Augen auf für die Realität
Es ist also Zeit, die Augen zu öffnen und die Realitäten anzuerkennen. Wind und Sonne gehören die Zukunft. Deutschland möchte nicht in einer Flaute stecken bleiben, wenn nun auch die USA wieder mit dem Wind segeln. Wenn sich die Regierungsparteien hoffentlich endlich wieder den neuen Ausbauzielen in der Novelle des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) widmen, dann braucht es Verstand und Herz. 2030 sollten 80 Prozent des Bruttostromverbrauchs aus Erneuerbaren stammen. Nur so kommen wir den Zielen des Pariser Klimaabkommens und der Klimaneutralität bis spätestens 2050 nahe.
Der Platz ist da
Daneben gilt der Blick der Fläche: Erneuerbare benötigen Platz. Wie wir vom WWF berechnet haben, reichen rund zwei Prozent der Landesfläche und die Dachflächen, um Deutschlands Energieversorgung zum größten Teil mit Wind- und Solaranlagen zu decken. Damit diese Flächen aber sozial- und naturverträglich erschlossen werden, ist eine viel bessere Planung und Steuerung auf regionaler Ebene nötig. Dafür braucht es unter anderem mehr personelle und finanzielle Ressourcen für die zuständigen Behörden. Und es braucht einheitliche, wissenschaftliche Kriterien, nach denen Standorte für Erneuerbare ausgewählt werden.
Dabei müssen zwingend auch die Menschen vor Ort eingebunden werden. Es ist unsere Energiewende, unsere Zukunft, die wir mitgestalten wollen und sollen. Dabei geht es auch um die finanzielle Beteiligung etwa an Windparks. Die großen Vorteile, die Wind- und Solarparks mit sich bringen, müssen endlich auch die Standortkommunen unmittelbar spüren.
Mit dem WWF-Newsletter nichts mehr verpassen!
Die Erneuerbaren entschlossen auszubauen ist eine Chance auf nachhaltigen Wohlstand – für uns und andere Länder. Der Innovationsgeist hierzulande hat einst dazu geführt, die Energiewende zum Exportschlager zu machen. Diesen Geist gilt es, wiederzubeleben. Sonst verlernt Deutschland vielleicht irgendwann tatsächlich noch das Fahrradfahren.
(Dieser Blogbeitrag erschien in ähnlicher Form als Gastkommentar in der taz vom 23.4.2021)
Wenn man diesen Beitrag liest, könnte man denken, er wäre von der Windkraftlobby verfasst und nicht von einer Naturschutzorganisation. Meiner Meinung nach sind insbesondere Windkraft und Naturschutz nicht vereinbar. Für Windräder werden die letzten Naturräume geopfert. Die Herstellung der Anlagen verbraucht Ressourcen, für die Aufstellung und Wartung müssen Flächen geopfert und Zufahrtswege gebaut werden, was ein massiver Eingriff in die Natur- und Erholungsräume, wie z. B. Wälder, Wiesen und Meere darstellt. Dass die Windräder Vögel und andere Flugtiere, wie z. B. Fledermäuse und Insekten töten, ist längst bekannt, auch wenn dies von manchen Zeitgenossen verharmlost und bestritten wird. Ausser dass Windräder optisch und akustisch extreme Störfaktoren sind, ist schliesslich dann noch das vielerorts ungeklärte Entsorgungsproblem ausgedienter Anlagen. Es gibt Waldstücke, in denen Müll, wie z. B. ausgediente Rotoren, seit Monaten herumliegen. Auch für Solaranlagen werden wertvolle Ressourcen, wie z. B. seltene Erden verwendet, die nicht einfach so vom Himmel fallen; und für Wasserkraft werden ganze Landstriche unter Wasser gesetzt. Laut Beitrag werden “nur” 2% der Landesfläche Deutschlands für “saubere” Energie benötigt; das wäre die dreifache Fläche des Saarlandes. Deutschland ist eines der am dichtesten besiedelten Länder der Erde, hat unzählige, grossflächige Industriegebiete und das dichteste Strassen- und Schienennetz weltweit. Wo sollen diese “nur” 2% denn noch herkommen? Der Fokus sollte auf Strom sparen gesetzt werden. Wenn wir hier im deutschen Land nur 10% des heutigen Stromverbrauches hätten, ginge es uns wahrscheinlich immer noch viel zu gut. Windräder sollten nicht in Naturräume, sondern in Siedlungen gebaut werden, am Besten mitten auf den Dorfplatz oder den Marktplatz in Städten. Dort wird der Strom ja auch gebraucht. Es wäre sicherlich interessant zu wissen, wie gross die Akzeptanz dann noch wäre.
Es ist wirklich schockierend, dass der WWF und gewisse andere grosse Naturschutzverbände die ganzen Nachteile der “grünen” und “sauberen” Energie nach wie vor ausblenden.
Ist denn in den 2% schon die kommende E‑Auto-Welle mit einbezogen, oder werden aus 2% dann schnell mal 4% an Fläche im Sinne des Mehrverbrauchs?
Ich denke nicht, dass E‑Autos, Solar- oder Windparks unser Allheilmittel beim Thema Klima- und Umweltschutz oder bei der Reduktion von CO2 sind.
Wir vergessen nämlich in schöner Regelmäßigkeit, dass wir für die ganzen Akkus, Stromspeicher, Solarzellen etc., solche Dinge wie Lithium, Gold, Kupfer und andere seltene Erden/ Metalle benötigen. Alleine der Abbau dieser Stoffe — welche zudem sehr begrenzt vorhanden sind- richtet einen unglaublichen Schaden in der Natur an und produziert nebenbei auch noch CO2.
Wir wollen also Pest mit Cholera bekämpfen. Eine ziemlich kurzsichtige Einstellung wie ich finde.
Besonders der steigende Bedarf an den obengenannten Stoffen, vorangetrieben durch die Digitalisierung und die damit einhergehende erhöhte Nachfrage an Strom und Speicherkapazitäten (z.B. auch für Serverfarmen), macht das Ganze nur noch schlimmer.
Ein weiterer vernachlässigter Punkt beim Thema Energiewende ist meiner Ansicht nach das Thema Recycling von Akkus & Solarpanelen. Da Deutschland Exportweltmeister in Sachen Müll ist — besonders beim Elektroschrott — bezweifle ich sehr stark, dass sich das mit den Akkus der E‑Autos anders verhalten wird.
Und was die Produktion von Tesla angeht: Die ist gerade dabei ganze Landstriche trocken zu legen, da sind die benötigten erneuerbaren Energien für die Produktion glaube ich das “kleinste” Problem.