Die ech­ten Einhörner

Kein Witz, heu­te ist der Inter­na­tio­na­le Tag des Ein­horns (1.11.). Die­ses Tier beschäf­tigt die Phan­ta­sie der Men­schen schon ewi­ge Zei­ten. Man muss für Ein­hör­ner aber gar nicht in anti­ken Schrif­ten, Kin­der­bü­chern und Fan­ta­sy­ge­schich­ten ein­tau­chen. Es gibt sie näm­lich auch außer­halb der Zucker­wat­te­plüschwelt, ganz in echt.

Ara­bi­sche oder Wei­ße Onyx — haben natür­lich zwei Hör­ner. Eigent­lich. © Hart­mut Jun­gi­us / WWF

Oryx — viel­leicht von der Sei­te ein Einhorn?

Es exis­tie­ren vie­le Über­lie­fe­run­gen über Ein­hör­ner, von den alten Per­sern über Aris­to­te­les bis Mar­co Polo. Wo wären denn die­se „Ech­ten Ein­hör­ner“ in der zoo­lo­gi­schen Sys­te­ma­tik ein­zu­ord­nen? Den Beschrei­bun­gen zur Fol­ge sind Ein­hör­ner etwa so groß wie Hir­sche, haben eine Pfer­de­ge­stalt und besit­zen ein lan­ges gedreh­tes Horn, mit dem sie sich erfolg­reich gegen Löwen ver­tei­di­gen konn­ten. Ihr Fell ist weiß, das Gesicht röt­lich und die Augen von tie­fem Blau. Beim sys­te­ma­ti­schen Ver­gleich der Beschrei­bun­gen lan­det man bei den Oryx-Anti­lo­pen. Sie gehö­ren inner­halb der Fami­lie der Horn­trä­ger zur Grup­pe der Pfer­de­bö­cke. Ihre lan­gen Hör­ner ver­fü­gen über rin­gel­ar­ti­ge Quer­wüls­te. Am bes­ten passt die Wei­ße Oryx (Oryx leu­co­ryx) auf den Steck­brief des „Ech­ten Ein­horns“. Ihr Fell ist nahe­zu weiß und sie tra­gen eine zwar nicht rote, aber brau­ne Gesichts­mas­ke. Im his­to­ri­schen Ver­brei­tungs­ge­biet der Wei­ßen Oryx gab es Löwen. Die ein­zi­ge Unstim­mig­keit ist die Anzahl der Hör­ner. Ory­x­an­ti­lo­pen tra­gen natür­lich zwei Hör­ner auf der Stirn. Doch die ste­hen eng bei­ein­an­der und ver­schmel­zen von der Sei­te betrach­tet zu einem. Auf anti­ken ägyp­ti­schen Reli­ef­dar­stel­lun­gen sehen sie wie ein ein­zi­ges Horn aus.

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Das Ver­brei­tungs­ge­biet der Wei­ßen Oryx war schon im 19. Jahr­hun­dert stark zusam­men­ge­schrumpft. In der zwei­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts wur­den die letz­ten wild­le­ben­den Wei­ßen Oryx im Süden der Ara­bi­schen Halb­in­sel aus­ge­rot­tet. Damit war die Art in der Wild­nis aus­ge­stor­ben. Erst ein welt­wei­tes Erhal­tungs­zucht­pro­gramm konn­te nach­ge­züch­te­te Tie­re wie­der aus­wil­dern, so dass es heu­te wie­der sta­bi­le Wild­be­stän­de gibt.

Das Nar­wal­horn ist eigent­lich ein Zahn © dot­ted­hip­po / iStock / Get­ty Images

Nar­wa­le: Sie lie­fer­ten die “ech­ten” Hörner

Das Horn eines Ein­horns soll den Legen­den zufol­ge gött­li­che Heil­kräf­te besit­zen und magi­schen Schutz bewir­ken. Kein Wun­der, dass Ein­horn­hör­ner schon immer als begehr­tes Gut gal­ten. Aber Ein­hör­ner waren natür­lich schwer bis unmög­lich zu fan­gen. Und wo sie über­haupt zu fin­den waren — auch nicht genau bekannt. Doch fand sich im Mit­tel­al­ter und der frü­hen Neu­zeit eine täu­schend ech­te Lösung des Pro­blems. Denn vor allem männ­li­che Nar­wa­le (Mon­o­don mono­ce­ros), manch­mal aber eben­so Nar­wal­kü­he, besit­zen einen schrau­ben­för­mig gedreh­ten Stoß­zahn, der die Ober­lip­pe durch­bricht und eine Län­ge von mehr als zwei Meter errei­chen kann. Unglaub­lich, aber wirk­lich wahr. Die­se Stoß­zäh­ne bedien­ten jahr­hun­der­te­lang die Nach­fra­ge nach „ech­ten“ Ein­horn­hör­ner. Erst Mit­te des 17. Jahr­hun­derts wur­de der Zau­ber gebro­chen… und das „ech­te“ Ein­horn­horn als Stoß­zahn eines Nar­wals entlarvt.

Ein­deu­tig: ein Horn © Nico­las Rako­topa­re / Wilds­creen Exchange

Die wah­ren Einhörner

Das ein­hör­ni­ge Pan­zer­nas­horn (Rhi­no­ce­ros uni­cor­nis) hat einen mas­si­gen Kör­per, kur­ze Bei­ne und einen gro­ßen Kopf. Es ist die ins­ge­samt zweit­größ­te der welt­weit fünf Nas­horn­ar­ten und gehört zu den größ­ten Land­säu­ge­tie­ren der Erde. Pan­zer­nas­hör­ner sind in Indi­en und Nepal zuhau­se und bewoh­nen Wäl­der, Gras­län­der und Feucht­ge­bie­te. Ihr Horn besteht (wie unse­re Fin­ger­nä­gel) zum Groß­teil aus Kera­tin, hat kei­nen kno­chi­gen Kern, nutzt ab und wächst lebens­lang nach. Sie besit­zen an jedem Fuß drei Zehen, die nach hin­ten zu einem Huf zusammenlaufen.

Auch ihr Horn ist hoch­be­gehrt und es wer­den ihm in man­chen Län­dern Asi­ens annä­hernd magi­sche Heil­kräf­te zuge­schrie­ben. Trau­rig, aber wahr: Wegen die­sem Wun­der­glau­ben sind alle Nas­horn­ar­ten inzwi­schen mas­siv bedroht. Auch die zwei­hör­ni­gen.

Platt, aber mit Zun­gen­horn © CSIRO / Tho­mas Gloerfeldt-Tarp

Die Ein­horn­zun­ge: immer platter

Von blau­en Zun­gen bei Giraf­fen und Eis­bä­ren hat­te ich schon gehört, aber wie wohl die Zun­ge eines Ein­horns aus­sieht? Dann bin ich der Ein­horn­zun­ge (Aeso­pia cor­nu­ta) begeg­net und habe nun eine Vor­stel­lung. Ein­horn­zun­gen gehö­ren zu den Platt­fi­schen. Im Lar­ven­sta­di­um haben Platt­fi­sche noch eine bila­te­ral-sym­me­tri­sche Kör­per­form und schwim­men auf­recht umher. Mit zuneh­men­der Ent­wick­lung erfolgt die Meta­mor­pho­se zum Platt­fisch. Der Kör­per flacht seit­lich ab, die Kör­per­ach­se dreht sich auf die Sei­te und ein Auge wan­dert auf die obe­re Kör­per­sei­te. Das ist schon ver­rückt. Namens­ge­bend besit­zen Ein­horn­zun­gen auch noch ein klei­nes Horn auf der Stirn.

Ein­horn­zun­gen leben in der Boden­zo­ne der Küs­ten­ge­wäs­ser des Indo-West-Pazi­fiks. Sie wer­den nicht direkt bejagt, lan­den aber regel­mä­ßig als Bei­fang in den Fischer­net­zen. Sie wer­den als Spei­se­fisch ver­kauft oder zu Fisch­mehl verarbeitet.

Ganz schön lan­ge, aber kein Horn © drfer­ry / iStock / Get­ty Images

Kein Horn, ein Schnabel

Beim Schwert­schna­bel­ko­lo­bri (Ensi­fera ensi­fera) ist das „Ein­horn“ ein Schna­bel. Die­ser ist län­ger als der Kör­per. Schwert­schna­bel­ko­li­bris besit­zen den längs­ten Schna­bel in der Fami­lie der Koli­bris. Welt­weit gibt es außer­dem kei­ne zwei­te Vogel­art, bei wel­cher der Schna­bel län­ger ist als der Kör­per. Die­ser extrem lan­ge Schna­bel ist das Ergeb­nis von Koevo­lu­ti­on. Schwert­schna­bel­ko­li­bris und bestimm­te Pas­si­ons­blu­men­ar­ten haben sich im Lau­fe der Evo­lu­ti­on über Mil­lio­nen von Jah­re anein­an­der ange­passt. Nur Schwert­schnä­bel kön­nen mit ihrem lan­gen Schna­bel den Nek­tar der lan­gen Blü­ten­röh­ren bestimm­ter Pas­si­ons­blu­men errei­chen. Und befruch­ten die­se im Gegenzug.

Aber nicht nur das irre lan­ge „Horn“ zeich­net sie als „Ein­hör­ner“ aus. Das Gefie­der der Schwert­schna­bel­ko­li­bris ist ein wei­te­rer Glit­zer­fak­tor, der so man­ches Plüschein­horn erblas­sen lässt. Gro­ße Berei­che der Kör­per­un­ter­sei­te schim­mern sma­ragd­grün. Wenn wun­dert es da, dass sie in Nebel­wäl­dern zuhau­se sind?

Zählt das als Ein­horn? © Henk Bogaard / iStock / Get­ty Images

Wei­ße Fle­der­maus: kein Horn, ein Lappen

Wie ihr Name schon ver­rät, haben Wei­ße Fle­der­mäu­se ganz ein­horn­ty­pisch ein wei­ßes Fell. Das Horn auf ihrer Nase ist Teil eines flei­schi­gen Haut­lap­pens, dem Nasen­blatt, wel­ches wie­der­um das namens­ge­ben­de Merk­mal der Ver­tre­ter der Fle­der­maus­fa­mi­lie der Blatt­na­sen ist. Bei den Blatt­na­sen erfolgt die Echo­or­tung durch die Nase. Ana­log einer Satel­li­ten­schüs­sel hel­fen die Nasen­blät­ter dabei die Echo­or­tungs­ru­fe zu bündeln.

Wei­ße Fle­der­mäu­se leben wie die meis­ten Fle­der­mäu­se nacht­ak­tiv. Bei Mond­schein gehen sie auf Nah­rungs­su­che. Als soge­nann­te Frucht­vam­pi­re ernäh­ren sie sich von Früch­ten, ins­be­son­de­re süßen Fei­gen. Das passt ja! Tags­über schla­fen sie ver­steckt in selbst­ge­bau­ten Zel­ten aus gefal­te­ten Blät­tern und war­ten auf die Abenddämmerung.

Kein Witz, son­dern Ein­horn­fisch © Yann Hubert / iStock / Get­ty Images

Der Ein­horn­fisch — das Horn ändert alles

Der Ein­horn­fisch (Naso bre­vi­rostris) trägt einen nasen­ar­tig ver­län­ger­ten Stirn­hö­cker im Gesicht. Jun­ge Noch-Kein­horn­fi­sche ernäh­ren sich von Algen, die sie abwei­den. Sobald sich das Horn aus­ge­bil­det hat, wird das Abwei­den unmög­lich und die Ein­horn­fi­sche müs­sen sich ander­wei­tig, näm­lich von Plank­ton ernäh­ren. Wäh­rend Noch-Kein­horn­fi­sche in Schwär­men leben, zie­hen älte­re Ein­horn­fi­sche in klei­ne­ren Grup­pen umher. Ein­horn­fi­sche gehö­ren zur Fami­lie der Dok­tor­fi­sche. Dok­tor­fi­sche ver­fü­gen über soge­nann­te Skal­pel­le an der Schwanz­wur­zel. Die­se Skal­pel­le sind umge­wan­del­te Schup­pen mit rasier­mes­ser­schar­fen Kan­ten, mit denen sie sich durch Schwanz­schlä­ge ver­tei­di­gen kön­nen. Ein­horn­fi­sche bevor­zu­gen Koral­len­rif­fe im Indi­schen und Pazi­fi­schen Ozean.

Durch­aus beein­dru­ckend, aber fra­gil © André Bärts­chi / WWF

Horn­wehr­vo­gel — das Horn, das bre­chen kann

Der Horn­wehr­vo­gel (Anhi­ma cor­nu­ta) ist ein gro­ßer Vogel mit trut­huhn­ähn­li­cher Gestalt und einem hüh­ner­vo­gel­ar­ti­gen Schna­bel, der aber zu den Gän­se­vö­geln gehört. Er besitzt ein in der Vogel­welt ein­zig­ar­ti­ges Horn. Die­ses lan­ge, dün­ne, bieg­sa­me Horn besteht aus Knor­pel­ge­we­be, ist locker mit dem Schä­del­kno­chen ver­bun­den, ragt vom Schei­tel nach vor­ne und schwingt mit jeder Kopf­be­we­gung mit. Es wächst kon­ti­nu­ier­lich nach, bricht aber von Zeit zu Zeit auch mal ab. Da es nicht zur Ver­tei­di­gung ein­ge­setzt wird, erfüllt es eher einen deko­ra­ti­ven Zweck. Eben­so wie ande­re Wehr­vö­gel ver­fü­gen Horn­wehr­vö­gel über je einen spit­zen Sporn an jedem Flü­gel, der als Waf­fe ein­ge­setzt wird und namens­ge­bend für die­se Vogel­fa­mi­lie ist. Ein wei­te­res Mar­ken­zei­chen der Wehr­vö­gel ist ihr lau­tes durch­drin­gen­des Geschrei.

Das war noch nicht das letz­te Ein­horn. Es gibt ja auch noch den Ein­horn­kä­fer (Notox­us mono­ce­ros), die Spitz­na­sen­nat­ter (Gon­yo­so­ma bou­len­ge­ri) oder die Hor­na­ga­me (Cera­to­pho­ra stodd­ar­tii). Die stel­le ich dann am nächs­ten Ein­horn­tag vor. Und wer weiß, viel­leicht hat jemand bis dahin ja noch ganz ande­re Ein­hör­ner entdeckt…

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- Vera hat den WWF inzwischen verlassen - Artenschutzexpertin beim WWF. Außerdem Biologielehrerin und Montessoripädagogin. Ich liebe Kinder und Tiere und freue mich, wenn es um beides geht. Am liebsten arbeite ich an Themen über Tiere für Kinder. Ich wohne mit meiner Familie ganz am Rande der Stadt. Dort haben wir das große Glück viel in der Natur sein und regelmäßig Wildtiere beobachten zu können.
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