Er ist wieder da. Al Gore, ehemaliger Vizepräsident der USA, knapp gescheiterter US-Präsidentschaftskandidat, Friedennobelpreisträger und Oscargewinner meldet sich zurück. Am 7. September kommt sein neuer Film “Immer noch eine unbequeme Wahrheit: Unsere Zeit läuft” hierzulande in die Kinos. Ich hatte Gelegenheit, den Film vorab zu sehen und bin beeindruckt.
Es gibt schlechtere Starts in die Woche als sich morgens um zehn erst einmal gemütlich in ein fast leeres Edelkino zu setzen, sich in Ruhe einen Film anzusehen und den Routinekram im Büro um ein paar Stunden nach hinten zu verschieben. Was ich auf der Leinwand zu sehen bekam, war hingegen eher ungemütlich.
Al Gore 2007: Eine unbequeme Wahrheit
Im Grunde hatte Gore in seinem ersten Film vor zehn Jahren „An Inconvenient Truth“ alles zum Thema gesagt. Dachte ich. Doch die neue Dokumentation setzt dort an, wo Gore vor zehn Jahren aufgehört hat. Ausführlich greift er die Argumente seiner Kritiker auf und kontrastiert sie mit beeindruckenden Bildern von Naturkatastrophen, Stürmen und abschmelzenden Gletschern. Viele der vor einem Jahrzehnt prognostizierten Auswirkungen des Klimawandels sind bereits bittere Realität geworden: Überschwemmungen in New York, abbrechende Mega-Eisberge, Dürren und immer häufigere Extremwetterereignisse auf allen Erdteilen.
Der emotionale, oft persönliche Grundton zieht sich durch den gesamten Film. Er ist weniger frontal erzählt als sein Vorläufer und nicht so mit Informationen überladen. Daher erreicht er sein Publikum eben auch unmittelbarer. Als Vermarktungsprofis haben die Macher für den Sound zum Film die Indie-Pop-Band One Republic engagiert, deren Song Truth to Power durchaus das Zeug für einen Ohrwurm hat und einen guten Vorgeschmack liefert, was die Zuschauer im Film erwartet.
21. UN-Klimagipfel: “Paris Agreement”
Der Film kombiniert eindrucksvolle Naturaufnahmen mit Ausschnitten aus Nachrichtensendungen und Informationsblöcken. Neben einer Flut an Bildern begleitet die Kamera Gore bei seinem Einsatz hinter den Kulissen der weltweiten Klimadiplomatie. Die Handlung orientiert sich an den Verhandlungen beim Pariser Klimagipfel 2015. Die Stadt stand nach den Terroranschlägen vom November noch unter Schock. Der Film fängt die düstere Stimmung ein, die auf die Delegierten abgefärbt haben dürfte. Vielleicht war das ein zusätzlicher Ansporn, sich schließlich doch auf das weltweit gefeierte Pariser Klimabekommen zu einigen. Als der Vertrag nach nächtelangen Verhandlungen endlich steht, sieht man Al Gore gedankenverloren durch die Gänge des Konferenzzentrums schlendern. Eine Szene, die an Franz Beckenbauers einsamen Gang über den Rasen des Stadio Olimpico nach dem Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft erinnert.
Ob Al Gores Rolle beim Zustandekommen des Abkommens tatsächlich so bedeutend war, wie der Film nahelegt, sei dahingestellt. Die Zuschauer bekommen auf alle Fälle eine Ahnung davon, wie fragil solche internationalen Vereinbarungen oftmals ablaufen und von welchen Nebenschauplätzen manchmal die entscheidenden Impulse ausgehen können. In Paris war die Positionierung der Indischen Delegation mitentscheidend. Sie pochen auf ihr Recht auf Entwicklung und wollen den Energiehunger ihres Landes vor allem durch Kohlekraftwerke stillen. Wie alle Schwellenländer wollen sich schon gar keine Vorschriften von Industrieländern machen lassen, die letztendlich verantwortlich für die Klimakrise sind und deren Pro-Kopf-Emissionen immer noch um ein Vielfaches über dem von Indern oder Chinesen liegt.
Indiens Energie-Zukunft ist erneuerbar
Die Haltung ist verständlich, aber eben schlecht fürs Weltklima. Dass sich die Schwellen- und Entwicklungsländer in Paris am Ende auf einen eigenen Beitrag zum Klimaschutz eingelassen haben, ist ein großer Erfolg. Er gebührt auch Klimadiplomaten wie Gore, die hinter den Kulissen vermittelt haben. Für sie bleibt viel zu tun. Indien hat immerhin inzwischen angekündigt, in zehn Jahren seinen Strom mehrheitlich aus erneuerbaren Quellen zu beziehen. Allerdings soll zugleich die Kohleproduktion verdoppelt werden…. Nicht nur in Delhi ist noch einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten. Insbesondere der Kohleausstieg ist aktuell eine der ganz großen Herausforderungen. 1.600 neue Kohlekraftwerke sind weltweit aktuell geplant und Länder wie Deutschland tun sich schwer, den Abschied von den CO2-Schleudern zu besiegeln.
Al Gore sucht Mitstreiter
Al Gore versucht, die Debatte auf allen Ebenen mit Fakten zu beleben und sucht Mitstreiter. Deshalb hat er das Climate Reality Projekt ins Leben gerufen, wo schon tausende von Aktivisten zu so genannten „Climate Leaders“ ausgebildet wurden, die die “Immer noch unbequeme Wahrheit” in die Welt tragen sollen. Wir werden diese Leute dringend brauchen, wenn wir den Kampf gegen den Klimawandel gewinnen wollen. So gesehen macht der Film Mut, denn er bewahrt die Hoffnung, dass am Ende einer Kette von Niederlagen doch ein Sieg stehen könnte. Ab 7. September ist der Film im Kino zu sehen.
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